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Erinnerungen an die ersten 15 Jahre

(Archiv/Stand: Oktober 2004)


1984 trafen sich in einem viel zu kleinen Wohnzimmer knapp ein Dutzend Leute und planten ein Kommunales Kino für Mainz. Es waren Filmleute, Künstler, Literaten und Fernsehredakteure. Letztere brachten eigene Erfahrungen aus anderen Städten und viele Tips mit. Lange wurde beraten, wie ein solches Vorhaben anzugehen sei, welche Rechtsform am Günstigsten wäre und wie die Programmkonzeption aussehen soll. In den 70er Jahren gingen solche Kinogründungen wie eine Welle über das Land, es lagen also schon Erfahrungen vor. Mainz und Rheinland-Pfalz hatten den Anschluß an die Medienentwicklung verpaßt. Die meisten anderen Städte und größeren Gemeinden hatten bereits Kommunale Kinos gegründet - als städtische Einrichtung, als Volkshochschulabteilung oder in der Trägerschaft eines Vereins. Wir entschlossen uns, nach Rücksprache mit Politikvertretern, für Letzteres. Vorbild war das Kommunale Kino Freiburg. Nach über einem Jahr Beratung und Vorfühlen bei der Stadt Mainz, wurde ein Verein gegründet, der sich die Einrichtung und den Betrieb eines Kommunalen Kinos zum Ziel setzte.

Die Voraussetzungen waren eigentlich gut: es gab bundesweit Vorbilder, an denen man sich orientieren konnte. Wir hatten Mitglieder mit Kinoerfahrung. Die Kommunalen Kinos hatten bereits - in Abgrenzung zum kommerziellen Kino - ein deutliches Profil. Der Deutsche Städtetag sprach entsprechende Empfehlungen aus. Es gab Zeitungsartikel, Handbücher und andere Publikationen zum Thema.
Bei den Mainzer Stadtratsfraktionen fanden wir offene Ohren und eine Partei schrieb das Kino gleich in ihr Wahlprogramm. Der Stadtrat beschloß, der AG Stadtkino e.V. die (eigentlich städtische) Aufgabe der kommunalen Film- und Kinoarbeit zu übertragen.

Bild Dalberger Hof Als kurz darauf in einem Haushaltsentwurf der rot-grünen Koalitionäre der Kinobau finanziell berücksichtigt war, hätten wir beinahe einen Bilderbuchstart gehabt. Doch leider nur beinahe, denn die Koalitionsverhandlungen scheiterten und damit der schöne Haushalt. Von diesem Moment an waren wir in der Wartehalle der Mainzer Kulturinitiativenpolitik abgestellt. Wir durften erst einmal - mit ein paar Mark Fördermittel - ohne Kino beweisen, daß es Interesse an einem Kino gäbe, zeigen, was wir können und uns im übrigen gedulden. Wegen jeder Kleinigkeit mußten wir im Rathaus Klinken putzen und als Bittsteller auftreten.


Bild

  »Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ein Notstand eintrat,
  als meine private Schreibmaschine ausfiel und wir beim Kulturdezernenten
  Geld für ein vereinseigenes Gerät erbettelten - mit Briefen,
  die ich woanders schreiben musste.«
(rww)

Der Verein traf sich jahrelang einmal wöchentlich in besagtem Wohnzimmer und plante, meist beim Rotwein, viele virtuelle und einige reale Programme. Mit dem geringen Budget waren nur wenige Veranstaltungen im Jahr möglich. Folglich waren die Diskussionen oft hitzig, immer aber zeitaufreibend und meist zu lang! Die ersten Mitglieder, insbesondere die im Beruf stehenden Profis, begannen sich langsam zurückzuziehen. Andere zogen aus beruflichen Gründen aus der "Medienstadt Mainz" an bessere Medienstandorte...
Der städtische Geldhahn blieb zwar offen, tröpfelte aber nur noch. So nach und nach schafften wir uns eine mobile 16mm-Projektions- und Tonanlage an, denn wir waren ein Wanderkino geworden. Es gibt kaum einen öffentlichen Saal in Mainz, der höher als 3 Meter ist, den wir nicht bespielten. Sogar in der Bahnhofshalle zeigten wir Filme.

Bild Proviantamt In der Zwischenzeit begann eine andere Wanderschaft: die Begehung von Gebäuden, Baustellen, Bauruinen und alten Gemäuern jeder Art. Am häufigsten wurden uns Keller anempfohlen (Kino ist eben dunkel!). Der Keller des Frankfurter Hofs, der Keller des Dalberger Hofs, der Bitsch-Keller, die Kästrich-Keller usw.
Das führte zwar zu nichts, da die Stadt spätestens, wenn ein Projekt geeignet war, die Bauinvestitionen scheute (der Ausbau von Kellern ist eben kostspielig). Doch lernten wir so immerhin - oft in prominenter politischer Begleitung - Mainz von unten kennen.

Bild Kulturskandal Aufschwung gab es, als sich alle Mainzer Kulturinitiativen im "Kulturtreff" zusammenschlossen und gemeinsam Druck machten, der schließlich von der Aktion "Kulturskandal" gekrönt wurde. Übernacht waren überall in der Stadt an Wänden, Mauern und Bauzäunen Plakate aufgeklebt, auf denen der Skandal in Zahlen ausgedrückt wurde: 636.773 DM für öffentliche Bedürfnisanstalten, aber nur 483.000 DM für Kultur. Das saß!
Die eine oder andere "Initiative" hatte es danach etwas leichter. Auch wir erhielten etwas mehr Förderung, doch das Kino war - trotz Durchhalteparolen wie "Das Stadtkino kommt!" - nicht in Sicht. So zogen wir fleißig mit unserem Wanderzirkus weiter. Unsere Hauptbeschäftigung bestand jedoch im Entwickeln und Verwerfen von Kalkulationen, im Verhandeln und Korrespondieren, Baupläne begutachten und Entwerfen (allein im Jahr 1992 fünf mal). Dies alles taten wir umsonst und bisher auch vergeblich. Je älter wir und unsere "Initiative" wurde (Kinder wurden geboren, Großvaterschaften standen in Aussicht), je größer die Enttäuschung, aber auch Wut, desto öfter fühlte sich so mancher Politiker inzwischen von unseren Eingaben nur noch genervt ...
Umgekehrt traf uns am Härtesten der in den 90er Jahren modern werdende Vorwurf des Anspruchsdenkens. Wurde dies doch von Personen in meist wohl dotierten Positionen ausgesprochen, die Habenichtse kritisierten, die ihr Engagement für öffentliche Kulturbelange mit privatem Verzicht bezahlten.

Bild Institut Français Ein Silberstreifen tat sich am Horizont auf als uns von der damaligen Leiterin des Institut Français, Mme Lebouc, die Nutzung des ehemaligen Theatersaals für Schmalfilm-Vorführungen angeboten wurde. Auf französischem Terrain, auf dem Film schon immer ein selbstverständlicher Teil der Kultur ist, stießen wir auf - zunächst sogar uns überraschendes - Verständnis und fühlten uns nicht nur geduldet, sondern willkommen.
Schritt für Schritt bauten wir diesen Theatersaal, der in besseren Zeiten schon einmal Filmsaal war, mit den weiterhin stetig tröpfelnden städtischen Mitteln von einem Schmalfilmclub in ein schmuckes, kleines Kino um.
Zuerst wurde eine 50er Jahre Rolleinwand aus dem Fundus des ehemaligen Mainzer Bureau du Cinéma aufgehängt. Im benachbarten Raum bauten wir aus alten Französischkurs-Schulbänken eine Arbeitsplattform für den Projektor. Dann kauften wir von "Mainz lebt auf seinen Plätzen" ausgemusterte Bühnenholzkasten und stapelten diese zu einem Zuschauerpodest, auf dem bis heute die 99 olivgrünen, leider armlehnenlosen, Thonet-Stühle stehen.
Nachdem absehbar war, daß wir länger bleiben könnten und sich gerade mal wieder eine Standortplanung zerschlagen hatte, investierten wir in ein Baugerüst, in das wir eine ordentliche Kinoleinwand spannten. Der Saal wurde von unserem Kinotechniker, Herr Lintz, quasi in liebevoller Heim- und Hobbyarbeit Jahr für Jahr weiter zu einem richtigen Kino ausgebaut.

Bild Kino Als wir im Oktober 1994 voller Stolz mitten in einer städtischen Haushaltssperre das CinéMayence eröffneten, lötete Herr Lintz noch an den Projektoren und die auf den Premierenfilm wartenden Gäste hörten drinnen im Saal durch die noch nicht schalldichten Projektionsluken deutlich sein stilles Fluchen!
Allein am verlängerten Eröffnungswochenende kamen mehr als 600 Besucher. Dies machte uns Mut. So nach und nach erhöhten wir die Spielfrequenz. Woche für Woche gab es einen kleinen Fortschritt. Nach und nach wurde der Saal mit Vorhängen, einem Leinwandkasch und schließlich sogar einer ferngesteuerten Vorhangzugmaschine ausgestattet.

Zum ersten Mal förderte auch das Land - mittelbar - unser Kino. 1995 erhielten wir eine Auszeichnung für hervorragende Programmarbeit verbunden mit einer Prämie in Höhe von 5.000 DM.

1996 richteten wir in der ehemaligen Theatergarderobe, ein winziger Nebenraum, ein Büro ein und schafften den ersten kinoeigenen Computer an.
Bald darauf empfingen wir unsere immer zahlreicher werdenden Besucher an einem fahrbaren Kassenhaus, das nach den Veranstaltungen wieder verschwindet. Alles war (und ist noch) provisorisch, denn wir waren im benachbarten Proviantamt, durch alle nur denkbaren Beschlüsse der städtischen Gremien, fest eingeplant.
Seit 1997 spielten wir so oft, daß wir ein Monatsprogramm veröffentlichen konnten. Zugleich machte uns der immer häufigere "Kinodienst" (Kasse, Einlaß, Projektion) zu schaffen, der ohne fremde (Aus-) Hilfe nicht mehr nebenbei zu leisten war. Einmal wurde zwar der Regisseur einer unserer Erstaufführungen in der anschließenden Diskussion gefragt, warum sein Film nicht in einem `richtigen Kino` liefe. Doch hatten wir inzwischen einen richtigen kleinen Betrieb mit Personalmanagement, Buchhaltung und allem was dazugehört aufgebaut. In dieser Zeit wurde die Kooperation mit unseren Gastgebern, dem Institut Français, immer enger. Nichtzuletzt die Unterstützung und Sympathie der inzwischen neuen Leiterin, Mme Nathalie Prat, und ihrer Equipe trugen viel zu dem positiven Ambiente im Hause bei.

Bild Kinokasse 1998 gelang uns dann ein Durchbruch: Obwohl das Kino von Außen noch immer unsichtbar ist, verdoppelten wir die Besucherzahlen gegenüber dem Vorjahr. Mit den Mehreinnahmen konnten wir die Programmfrequenz halten und, trotz längst eingefrorenem städtischen Zuschuß, endlich eine Dolby-Stereo-Anlage einbauen. 15 Jahre hat das gedauert. Dabei kommen wir uns vor wie der Igel, der vom Hasen der technischen Neuerungen ständig überholt wird. Kinoausbau im Schneckentempo Mainzer Medienpolitik!

Jetzt, im Jubiläumsjahr, erreichten wir eine weitere Grenze: die Raum- und Spielterminkapazitäten sind erschöpft. Unser Anteil an unentgeltlich geleisteter Arbeitskraft - zusammengerechnet etwa 1,5 Stellen - auch. Im Winterhalbjahr war jede dritte Veranstaltung war ausverkauft, d.h. mehr Einnahmen können wir nicht erwirtschaften. Jetzt müssen wir endlich die Schallmauer der Vertröstungen durchbrechen.

15 Jahre nach der Gründung der AG Stadtkino e.V. haben wir noch nicht das Ziel, doch immerhin die Etablierung im Kulturleben der Stadt, erreicht. Es war ein langer und mühevoller Weg, der hoffentlich nicht vergeblich eingeschlagen wurde.
Wir danken an dieser Stelle allen Stadträten, Dezernenten und Oberbürgermeistern, die uns in der Vergangenheit auf diesem Weg beigestanden haben, und, wie der heutige Kulturdezernent Peter Krawietz und unser heutiger Oberbürgermeister Jens Beutel, dies - in einer schwieriger gewordenen Zeit - noch immer tun.

Christiane Schauder & Reinhard W. Wolf


Links auf weitere Jubiläumsseiten:
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z.Bsp: Das Jahresprogramm 1998
Programmhöhepunkte aus 15 Jahren
Chronik der Standortsuche

Medienkultur jenseits von Kommerz und Einerlei
Bedeutung für Mainz als Medienstandort
Multimedia - Initiative
Immobilie gesucht!
Kulturpolitische Position zur Kinolandschaft

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